E-Lieferwagen brauchen Initialzündung
Von Thomas Rücker, Direktor auto-schweiz
Seit fast drei Jahren dürfen leichte Nutzfahrzeuge mit elektrischem Antrieb schwerer sein, um die Gewichtsnachteile auszugleichen. Was gut und sinnvoll tönt, bringt bei der Umsetzung neue Herausforderungen.
Elektrisch angetriebene Lieferwagen haben in der Schweiz bislang einen schweren Stand. 2024 wurden 2'467 entsprechende Neuzulassungen registriert, ein spürbarer Rückgang um 37 Prozent zum Vorjahr. Von den insgesamt gut 30'500 neuen leichten Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen Gesamtgewicht machen diese gerade einmal acht Prozent aus. Zum Vergleich: Bei den Personenwagen lag der Elektro-Anteil 2024 immerhin noch bei gut 19 Prozent, trotz Nachfrageminus. Die Ausgangslage bei den E-Lieferwagen ist also deutlich herausfordernder, was die Schweizer Automobilbranche vor schier unlösbare Aufgaben bei der Erreichung der CO2-Zielvorgaben stellt – und diese wurden just auf 2025 nochmals um rund 20 Prozent gesenkt.
Mehrgewicht wird kompensiert
Um die Nachfrage nach E-Lieferwagen anzukurbeln, hat sich die Politik etwas überlegt. Aufgrund der Annahme eines politischen Vorstosses von Alt Nationalrat Jacques Bourgeois können Fahrzeuge, die ausschliesslich mit Elektrizität oder Wasserstoff (BEV und FCEV) angetrieben werden und deren Mehrgewicht über 3,5 Tonnen nur durch den emissionsfreien Antrieb verursacht wird, jenes Mehrgewicht zum zulässigen Gesamtgewicht dazurechnen lassen. Diese Gewichtszurechnung ist bis zu einem maximalen Gesamtgewicht von 4,25 Tonnen zulässig und gilt seit dem 1. April 2022. Nach nun bald drei Jahren seit der Implementierung dieser Regelung kann man eine erste Bilanz über den Markterfolg ziehen. Von den erwähnten «Bourgeois-Fahrzeugen» wurden 2024 insgesamt 224 in Verkehr gesetzt, rund 22 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit beträgt der Marktanteil dieser Fahrzeuge in der Lieferwagen-Flotte im Jahr 2023 und 2024 jeweils deutlich unter einem Prozent (siehe nachfolgende Grafik).

Elektrisch betriebene Lieferwagen sind aufgrund der gewerblichen Nutzung sehr preissensitiv. Mit der aktuellen Regulierung verfügen diese Fahrzeuge über keinen finanziellen Anreiz, vermehrt auf die Elektromobilität zu setzen. Die Absicht der bestehenden Regelung ist insofern sinnvoll, als dass sie die Transportleistungsnachteile durch das Auflastungsgewicht aufzufangen vermag. Dennoch setzen sich diese nicht schnell am Markt durch, weil Unsicherheiten und unnötige Hürden für Fahrzeuge und Chauffeure bestehen.
Anforderungen an die Fahrzeuge
Die Definition der Fahrzeuge mit alternativen oder emissionsfreien Antrieben ist in Art. 9a VTS (SR 741.41) geregelt. Art. 10 und Art. 11 VTS (SR 741.41) regeln die Kategorisierung der Fahrzeuge, wonach Fahrzeuge der Klasse N1 ein maximales Gesamtgewicht von 3'500 kg nicht überschreiten dürfen. Folglich fallen solche Motorwagen zum Sachentransport in das Anforderungsprofil der Klasse N2 (Lastwagen oder schwere Motorwagen zum Sachentransport). Aufgrund dessen zeigen die im Titel erwähnten Fahrzeuge im wesentlichen folgende Unterscheidungsmerkmale gegenüber den Lieferwagen der Klasse N1:
- Keine Möglichkeit der Selbstabnahme für die Fahrzeugprüfung für die Garagenbetriebe
- Periodischer Prüfintervall nach der ersten Inverkehrsetzung (erstmals zwei Jahre nach der ersten Inverkehrsetzung, anschliessend nach zwei Jahren, dann jährlich)
- Anbringung eines Seitenunterfahrschutzes
- Einsatz eines Geschwindigkeitsbegrenzers
- Installation und Manipulation des digitalen Fahrtenschreibers (Tachograph, folglich benötigt der Fahrer eine Fahrerkarte)
- Mitnahmepflicht eines Feuerlöschers sowie einer Notleuchte.
Anforderungen an den Fahrzeugführer
Gemäss Art. 4, Abs. 5, lit. f+h VZV (SR 741.51) kann im Binnenverkehr mit der Fahrzeugausweiskategorie B oder BE ein solches Fahrzeug mit einem Gesamtgewicht von mehr als 3'500 kg, aber höchstens 4'250 kg, und nicht mehr als acht Plätzen ausser dem Führersitz gefahren werden. Bedingung dafür ist, dass das Zugfahrzeug über einen emissionsfreien Antrieb verfügt und das 3'500 kg überschreitende Gewicht einzig durch das Mehrgewicht der emissionsfreien Antriebstechnik verursacht wird. Die eingebauten Gerätschaften des Fahrzeuges sind dabei ordentlich zu bedienen (inkl. digitaler Fahrtenschreiber).
Der Verordnung über die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer (Chauffeurverordnung, ARV 1, SR 822.221) unterstellt sind grundsätzlich Führerinnen und Führer von Motorwagen und Fahrzeugkombinationen zum Sachentransport, deren Gesamtgewicht nach Fahrzeugausweis 3,5 t übersteigt (Lastwagen [Art. 11 Abs. 2 Bst. f VTS]), und Führer und Führerinnen von Motorwagen und Fahrzeugkombinationen zum Personentransport, die ausser dem Führersitz für eine Platzzahl von mehr als sechszehn Personen zugelassen sind (Kleinbusse [Art. 11 Abs. 2 Bst. c VTS] und Gesellschaftswagen [Art. 11 Abs. 2 Bst. d VTS]) (siehe Art. 3 Abs.1 ARV 1). Gleichzeitig sieht diese Verordnung eine grosse Anzahl von Ausnahmen vor, die sowohl im grenzüberschreitenden als auch im Binnenverkehr oder nur im Binnenverkehr gelten (Art. 4, ARV 1). Ob der Führer oder die Führerin bei einer Fahrt mit einem Fahrzeug oder mit einer Fahrzeugkombination der ARV 1 unterstellt ist oder nicht, entscheiden schlussendlich die kantonalen Vollzugsstellen.
Hinzu kommt, dass das Führen von Schweren Motorwagen der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugführer zum Personen- und Gütertransport auf der Strasse (Chauffeurzulassungsverordnung, CZV, SR 741.521) unterstehen. Zu beachten ist, dass für den internationalen Verkehr andere Anforderungen an Fahrzeugführer oder das Fahrzeug gestellt werden. Je nach Einsatzort sind so noch die ausländischen Verkehrsregeln zusätzlich zu berücksichtigen.
Fazit
Die Umsetzung dieser sinnvoll angedachten Erleichterungsmassnahme für das Kompensationsgewicht ist viel zu komplex, als dass sie schnell Wirkung entfalten könnte. Damit versiegt die beabsichtigte und extra geschaffene Entlastungsmöglichkeit für BEV/FCEV-Lieferwagen. auto-schweiz ist nicht überrascht, dass sich die gute Absicht des Motionärs in der Marktleistung der vergangenen Jahre nicht bestätigt, denn die Ausführungsbestimmungen wurden leider markthemmend ausgestaltet. Erschwerend kommt hinzu, dass die anwendungsspezifische Betrachtung diffus ist und selbst nationale Behörden, kantonale Vollzugsorgane sowie die interessierten Käufer kaum den Durchblick haben.