Von François Launaz, Präsident auto-schweiz
Elektrifizierung, autonomes Fahren, Carsharing: Bei der Betrachtung aktueller Medienbeiträge zum motorisierten Privatverkehr hat man das Gefühl, dass all diese Technologien schon morgen in Massen überall zum Einsatz kommen werden. Dass die Realität ganz anders aussieht und die meisten Experten von einem Zeitraum von rund 10 bis 15 Jahren sprechen, bis möglicherweise einer oder auch alle diese Trends den Durchbruch geschafft haben, wird oft vergessen. Der verkehrspolitische Alltag sieht sowieso völlig anders aus, wie auch der Artikel in der letzten Ausgabe der Automobil Revue aufgezeigt hat:
Tempo 30 greift immer mehr um sich. Städte wie Zürich oder Basel schrecken schon lange nicht mehr davor zurück, Geschwindigkeitsreduktionen auf Hauptachsen und Durchgangsstrassen zu erlassen – und kommen vor Bundesgericht damit durch. Bald können wir uns also von unserem autonomen und geteilten Robotaxi mit Tempo 30 durch die Stadt chauffieren lassen. Wir fahren in (die) Zukunft im Schneckentempo.
Verkehrsfluss auf Hauptachsen bündeln und verflüssigen
Tempo 30 war bisher (und sollte es immer noch sein) ein Mittel zur Erhöhung der Verkehrssicherheit in Wohnquartieren. Hier gehört es hin und hier ist es auch richtig. Zwar haben Studien aufgezeigt, dass die Temporeduktion nicht immer zu den gewünschten Effekten Lärmreduktion und Sicherheitserhöhung führt. Dennoch hat sich Tempo 30 in Quartieren mit einem entscheidenden Argument bewährt: Wenn man auf der Hauptverkehrsachse 50 fahren kann, fährt niemand als Abkürzung durch ein Wohnviertel. Das leuchtet ein und hat sich als sehr erfolgreich bewährt.
Nun wird dieses Regime vor allem mit dem Argument der Lärmbelastung ausgehebelt. Städte und Gemeinden können seit neuestem mit Schadensersatzforderungen überzogen werden, wenn sie die Lärmbelastung an Strassen nicht auf ein erträgliches Mass reduzieren. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens für «übrige Strassen» (im Gegensatz zu Haupt- und Nationalstrassen) wurde immer wieder verschoben und nun auf den 1. April 2018 gelegt. Die Lärmschutzverordnung an sich datiert aber vom 1. April 1987 (kein verspäteter April-Scherz!). Die Beteiligten können also nicht behaupten, sie hätten nicht genug Zeit gehabt, sich darauf einzustellen. Viel unternommen wurde aber nicht überall. Während die Automobilindustrie um jedes Dezibel in der Geräuschentwicklung innen und aussen am Fahrzeug ringt, war andernorts die Überlegung bei der Wahl der Mittel wohl einfach. Flüsterbeläge und Schallschutzwände oder -fenster sind teuer. Also war die Überlegung: «Dann machen wir halt irgendwann Tempo 30.» Kostet nichts, bringt aber im Zweifel auch nicht viel, weil die Lärmreduktion oft minim ausfällt.
Der Verkehr sucht sich seinen Weg - wie das Wasser
Die schlimmste Folge ist aber nicht etwa der mögliche Zeitverlust für Autofahrerinnen und -fahrer oder nachlassende Fahrfreude. Der Verkehr sucht sich seinen Weg wie das Wasser – nämlich den Weg des geringsten Widerstandes. Deshalb steht zu befürchten, dass mit flächendeckendem Tempo 30 die Quartiere voll sein werden von Durchgangsverkehr. Im Sinne der Sicherheit und Lärmbelastung will das aber niemand. Deshalb wird sich auto-schweiz den in der vergangenen Automobil Revue getätigten Aussagen anschliessen und auf politischem Weg sinnvolle und praktikable Lösungen unterstützen. Für Sicherheit und Lärmschutz, aber auch für eine Verflüssigung des Verkehrs in unseren Städten.