Mobility Pricing: Finanzieren, nicht lenken
Von Andreas Burgener, Direktor auto-schweiz.
Mobility Pricing will (fast) niemand. Das hat die Tamedia-Themenumfrage eindeutig gezeigt. Deshalb muss Bundesrätin Doris Leuthard jetzt umdenken: Der Fokus bei der Abgabe muss sich verschieben, von der Lenkung des Verkehrs hin zur Finanzierung. Wer an einem Wochentag früh morgens auf unseren Strassen unterwegs ist und das Autoradio eingeschaltet hat, kennt das Spiel. In den Verkehrsnachrichten kurz nach 6 Uhr, spätestens aber um 6.30 Uhr, kommen die ersten Meldungen. In der Deutschschweiz tönt es dann meistens so: «In der Region Zürich, stockender Verkehr auf dem Nordring Richtung Bern». Sehr schnell kommen dann die Regionen Basel, Bern/Solothurn, Aargau und Zentralschweiz dazu, später folgt die Ostschweiz. In der Romandie ist vor allem die A1 entlang des Lac Léman zwischen Lausanne und Genf heillos überlastet, im Tessin mit vielen Grenzgängern verstopft die A2 Richtung Norden als erstes. Ab 15.00 Uhr geht das ganze Retour bis mindestens 19.00 Uhr
Kein Wunder also, dass nach Lösungen gesucht wird, um den Verkehr auf der Strasse flüssiger abwickeln zu können, gerade zu Stosszeiten. Das demokratisch akzeptierte Vorgehen ist das Engpassbeseitigungsprogramm im neuen Strassenfonds NAF. Nachdem im Februar 62 Prozent des Stimmvolks Ja gesagt haben zum Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds, tritt er nun 2018 in Kraft. Auch eine Benzinsteuererhöhung um 4 Rappen wird kommen, aller Voraussicht nach 2019. Doch da wir wissen, wie unnötig und unmöglich lange Infrastrukturausbau hierzulande dauern kann, hat das UVEK unter Bundesrätin Doris Leuthard ein neues Allheilmittel auserkoren: Mobility Pricing.
Gezahlt wird abhängig von der Tageszeit
Jeder Nutzer eines Verkehrsmittels soll also für jede zurückgelegte Strecke einen fixen Betrag pro Kilometer bezahlen. Das an sich ist noch nicht spektakulär, auf der Strasse gibt es das heute schon. Schliesslich bekommen Sie, anders als beim öV und der Mobilitäts-Flatrate Generalabonnement, bei der Mineralölsteuer keine Deckelung nach 15'000 Kilometern pro Jahr. Der wahre «Clou» an Mobility Pricing ist aber die flexible Preisgestaltung. So würde etwa eine Fahrt zu Stosszeiten teurer werden als eine Reise ausserhalb der klassischen Morgen- und Abendstunden. So sollen, Zitat UVEK, «die Verkehrsspitzen gebrochen werden» - schon der Ausdruck hat etwas Martialisches an sich. Wenigstens geht es nicht um reines Road Pricing, der Vorstoss bezieht sowohl Strasse als auch öV mit ein, denn die Züge sind zu Spitzenzeiten ebenfalls voll. Als Auto-Pendler hat man dann zumindest den Vorteil eines gesicherten Sitzplatzes…
Die Tamedia-Themenumfrage hat nun eindeutig belegt, dass ein Mittel zur reinen Lenkung des Verkehrs – das ist es nämlich laut Bundesrätin Doris Leuthard – gar nicht gut bei Pendlern ankommt. Auf die Frage «Soll die Nutzung der Strasse und Bahn zu Stosszeiten Ihrer Meinung nach verteuert werden?» hat dabei eine überwältigende Mehrheit von 64 Prozent der Befragten klar «Nein» gesagt. Nochmal 18 Prozent sagten «Eher nein», während sich nur 6 Prozent zu einem eindeutigen «Ja», weitere 10 Prozent zu «Eher ja» durchringen konnten. Es liegt sicher nahe, dass diese 16 Prozent der Mobility-Pricing-Befürworter, gemeinsam mit den 2 Prozent Meinungslosen, eher seltener unterwegs sind.
Finanzieren statt lenken
Dabei darf man das Konzept von Mobility Pricing für die Strasse, dass es ja wie oben beschrieben eigentlich bereits gibt, nicht ganz beiseitelegen. Denn sollte sich das Wachstum der Elektromobilität beschleunigen, könnte der Anteil der elektrifizierten Fahrzeuge an den Neuimmatrikulationen in einigen Jahren bereits zehn Prozent oder mehr betragen. Momentan tragen Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeuge noch nicht viel zur Deckung der Infrastrukturkosten bei, was bei einem Marktanteil von 1,5 Prozent auch eine angemessene Förderung der neuen Antriebe darstellt. Doch sobald dieser Wert zweistellig wird, muss darüber nachgedacht werden, wie auch E-Fahrzeuge ihren fairen Beitrag zur Finanzierung der Strassen, die sie ja ebenfalls nutzen, leisten können.
Hier könnte man durchaus über eine Art Mobility Pricing nachdenken, das über einen geeichten Kilometer-Zähler im Auto erhoben wird, ähnlich wie beim Strom. Die Kosten müssen dabei vergleichbar hoch sein wie die heutigen Abgaben. Damit wäre in Zeiten wegbrechender Mineralölsteuereinnahmen auch die zukünftige Finanzierung des NAF gesichert. Eine pauschale E-Auto-Abgabe, wie sie derzeit ab 2020 geplant ist, schont Vielfahrer und bestraft Wenigfahrer. Wer mehr fährt, sollte auch mehr zahlen.
Bundesrätin Leuthard und das UVEK müssen jetzt umdenken. Eine Volksabstimmung über Mobility Pricing, das zum Lenken des Verkehrs gedacht ist, können sie nicht gewinnen. Aber als zukünftige Finanzierungsmethode der Infrastruktur für neue Antriebe hätte die leistungsbezogene Abgabe durchaus Vorteile.